Neuer Roman erscheint bald.

Hier ist schon einmal eine kleiner Einblick.

Zwei Dörfer. Eine Fehde. Ein nicht ganz so grandioser Plan

Melody schluckte den Kloß in ihrem Hals runter und blickte starr auf die Straße. Sie musste Gladys reinen Wein einschenken, ihr sagen, dass sie den Laden schließen und nach London ziehen würde. »Weißt du, Granny, ich habe überlegt –«, sie schloss den Mund und starrte auf den Streifenwagen, der an der Weggabelung stand und den direkten Weg zur A40 blockierte. Melody hielt den Wagen an und schaltete den Motor aus. Ein uniformierter Polizist lehnte gegen die Fahrertür und sprach etwas in sein Funkgerät. Er war recht jung und sah aus, als wäre er gerade erst mit der Schule fertig. Die hellblonden Haare wehten ihm in die Stirn, bis er seine Mütze zurechtschob.

»Was ist denn da los?«, fragte Gladys. Der Polizist löste sich vom Wagen und marschierte auf sie zu. Melody runzelte die Stirn. »Gibt es ein Problem?«, fragte sie durch das geöffnete Fenster.

»Es gab einen Zwischenfall auf der Brücke, weiter hinten. Ein Möbelwagen hat einen der Träger gerammt, die Brücke muss gesperrt werden, um die Statik zu überprüfen. Ich kann Sie hier nicht durchlassen. Sie müssen dort lang.« Er zeigte auf das Schild an der Weggabelung, das den Weg nach Croxley Hill auswies. Gladys sog geräuschvoll die Luft ein. »Wir können da nicht lang!«

»Ma’am?« Der Polizist fasste sich an die Mütze und musterte Gladys mit hochgezogenen Brauen.

»Wir können nicht durch das Dorf!«, empörte sich Gladys nun lauter.

»Sie sind nicht von hier, oder?«, fragte Melody den Polizisten, der daraufhin den Kopf schüttelte. »Sagen Sie mir jetzt nicht, dass das etwas mit einem Aberglauben zu tun hat.«

»Aberglauben, von wegen! Wir sind doch nicht hinterwäldlerisch, nur weil wir auf dem Land leben«, schnaubte Gladys.

»Ich nehme an, Sie wissen nicht, wann die Straße wieder freigegeben wird?«, fragte Melody leise.

»Nein, tut mir leid. Aber ich fürchte, das wird noch eine ganze Weile dauern. Sie müssen wirklich den anderen Weg nehmen, auch wenn es einen kleinen Umweg bedeutet.«

»Ich setze keinen Fuß in dieses Dorf!«, rief Gladys. Melody seufzte laut.

»Wenn Sie während der Fahrt im Wagen sitzen bleiben, müssen Sie das auch nicht«, sagte der Polizist mit einem schiefen Grinsen.

Melody musste gegen ihren Willen schmunzeln. Eine blecherne Stimme drang durch das Funkgerät des Beamten, der Melody und Gladys nun zunickte, bevor er sich abwandte und zu seinem Wagen zurückging.

»Eine Unverschämtheit«, polterte Gladys und funkelte Melody so böse an, als wäre es deren Schuld.  »Seit über vierzig Jahren bin ich nicht mehr in Croxley Hill gewesen, und ich werde auf meine alten Tage sicherlich nicht damit anfangen!«

Melody zählte innerlich bis zehn, pustete eine lange Haarsträhne von ihrer Nasenspitze und verfluchte den Fahrer des Möbelwagens. Es war eine sehr schmale Brücke, die über den Fluss führte, aber wenn man nicht gerade hundert Sachen fuhr, konnte man sie selbst mit einem Panzer gefahrlos überqueren. »Granny, wir haben keine Wahl. Wir sind eh spät dran.« Sie hätte fast gesagt, dass es nach über vierzig Jahren langsam an der Zeit war, diese dämliche Dorffehde zu vergessen, doch dann konnte sie sich noch rechtzeitig bremsen. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass die älteren Bewohner von Bexbury keinen Fuß nach Croxley Hill setzten und umgekehrt. Und auch von den jüngeren verirrten sich nur wenige in das jeweils andere Dorf. Melody wusste, dass Joss ab und zu ihren Ex-Freund Dylan besuchte, der seit drei Jahren ein B&B in Croxley Hill führte.

Aufgewachsen war er allerdings in Bexbury. Mit der Entscheidung, das B&B seines entfernten Cousins zu übernehmen, der nach Neuseeland ausgewandert war, war er jedoch in Bexbury zu einer Persona non grata geworden. Melody hatte diese Feindschaft zwischen den beiden Dörfern als Kind nie hinterfragt. Doch mittlerweile fand sie, dass die Leute das Kriegsbeil begraben sollten. Diese lächerliche Geschichte lag doch Ewigkeiten zurück!

»Entweder wir fahren nun durch Croxley Hill oder du musst deinen Arzttermin verschieben«, sagte sie mit ruhiger Stimme. Gladys schnaubte, durchsuchte die Außentasche ihres Blazers und zog eine Packung Taschentücher heraus. »Du warst damals nicht dabei, als diese Irren mit Mistgabeln und Fackeln durch unser schönes Dorf gezogen sind und den Pub beinahe in Schutt und Asche gelegt haben!«

Melody wandte ihr Gesicht ab, damit Gladys nicht mitbekam, dass sie die Augen verdrehte. Sie hatte die Geschichte mittlerweile so oft gehört – mit mehr oder weniger ausgeschmückten Details -, dass sie sie im Schlaf widergeben konnte. »Ja, ich weiß. Die Kinder haben die ganze Nacht geweint, die Frauen hatten Angst um ihre Männer und der Dorfpolizist konnte gerade noch verhindern, dass Joss’ Großvater in den Dorfbrunnen geworfen wurde.«

»So etwas vergisst man nicht«, fuhr Gladys unbeirrt fort, als hätte sie Melodys Sarkasmus überhört. »Es war beängstigend. Die haben sich wie eine Horde Wilder aufgeführt.«

Melody sah, wie der Polizist in sein Auto stieg und etwas in sein Funkgerät sprach, dann griff sie nach ihrer Handtasche auf dem Rücksitz und holte ihr Smartphone heraus. »Ich frage, ob wir Montag vorbeikommen können«, sagte sie und durchsuchte ihr Adressbuch nach der Nummer des Arztes. Die Arzthelferin in der Praxis zeigte Verständnis und gab ihr einen neuen Termin, am Montag um vierzehn Uhr. »Dann wird der Weg hoffentlich wieder passierbar sein«, murmelte Melody und steckte das Handy zurück in die Handtasche. Als sie sich wieder nach vorne umdrehte, schrie sie auf, weil sich ein blasses Gesicht mit großen blaugrünen Augen und zahlreichen Lachfältchen durch das geöffnete Fenster schob, um ins Wageninnere zu spähen. »Himmel, Violet, hast du mich erschreckt!«, rief Melody. 

»Die Brücke ist gesperrt. Ich musste doch tatsächlich durch dieses beschissene Dorf fahren!« Violets Hände umklammerten das Lenkrad ihres Hollandrads. »Die haben mich angeguckt, als würde ich deren Kinder essen wollen!«

Gladys Augen weiteten sich. Sie grub ihre rot lackierten Fingernägel in ihre Handtasche. »Du bist da durchgefahren?« Ihre Stimme überschlug sich vor Aufregung.

Violet nickte kräftig mit dem Kopf, löste eine Hand vom Lenker und strich sich durch das aschblond gefärbte, schulterlange Haar. »Ich war beim Friseur und musste ja irgendwie zurückkommen. Um halb zwölf kommt der Vikar zum Mittag vorbei. Wir wollen über eine neue Kirchenglocke sprechen.« Wie so oft, wenn sie angeben wollte, betonte sie jede Silbe, als spräche sie mit Ausländern, die schlechte Englischkenntnisse hatten.

»Du warst wirklich in Croxley Hill?«, rief Gladys und sog geräuschvoll die Luft ein.  Violet nickte erneut. »Ich bin durchgefahren. Das zählt nicht wirklich. Aber ich sage euch, es war unheimlich!«

»Inwiefern?«, fragte Melody, die tatsächlich niemals in Croxley Hill gewesen war. Auch wenn sie es nie zugeben würde, sie war extrem abergläubisch und fürchtete sich vor schlechtem Karma, wenn sie die Dorfgrenze überschritt. Ihre Großmutter hatte ihr als Kind immer eingetrichtert, dass sie ein Jahr lang Pech haben und ihr außerdem alle Haare und Zähne ausfallen würde, wenn sie nach Croxley Hill ginge.

»Ich fuhr am Dorfanger vorbei, wo Kinder mit dem Finger auf mich zeigten und von ihren ängstlichen Müttern ins Haus gezogen wurden. Auf einmal war die Straße menschenleer. Eine dunkle Wolke schob sich vor die Sonne und ein kräftiger Wind zog auf. Das Quietschen des Pubschilds, welches hin und herschwang, war ohrenbetäubend und nahm die ganze Straße ein. Ich bekam eine Gänsehaut. Es hätte nicht viel gefehlt und Steppenroller wären über die Straße geweht. Ihr wisst schon, dieses komische Wüstengestrüpp, das in Western durchs Bild rollt, begleitet von unheilvoller Musik. Es war schaurig!« Sie schüttelte sich.

»Du Ärmste«, sagte Melody mitfühlend, obwohl sie sich sicher war, dass Violet maßlos übertrieb. Sie hatte einfach einen Hang zur Dramatik.

(c) Sophia Herzinger – Auszug aus dem bald erscheinenden Roman Der grandiose Plan der Violet Graham

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert